Hervorgehoben

Wenn die Wunden der Seele zu denen des Körpers werden

Wohl jeder von euch ist irgendwie schon mit dem Thema Selbstverletzung in Berührung gekommen. Ob selbst betroffen, durch nahe Angehörige oder durch Freunde.

Ich selbst kämpfe schon seit über einem Jahrzehnt damit. Früher verheimlicht, vergraben in mir selbst, nach außen nicht eindeutig zu erkennen. Später wurde es immer schlimmer, ich musste öfter ins Krankenhaus, die ersten Narben blieben.

Aus unsichtbar wurde so mit der Zeit sichtbar. Irgendwann begann ich mit meiner Familie zu reden, mit meinen engsten Freunden. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Alle waren auf ihre Art schockiert, manche gerieten in Panik, andere verharmlosten.

Ist es gut darüber zu reden? Für mich war es sehr schwierig. Ich habe mich extrem schuldig gefühlt, konnte die Blicke voller Mitleid und Unverständnis nicht aushalten. Auch Wut schlug mir entgegen, Wut aus Verzweiflung, weil man mir helfen wollte und es nicht konnte. Oft hat dies leider die Abwärtsspirale angetrieben.

Ich habe aber auch erfahren dürfen, dass es Menschen gibt, die anders reagieren. Mit Verständnis, einem offenen Ohr und einem offenen Herzen. Mein Verlobter hat sich zum Ziel gemacht, meine Schutzmauer zu durchbrechen, die ich um meine Seele errichtet habe. Ziegel für Ziegel haben wir seitdem gemeinsam diese Mauer abgetragen und die Bauarbeiten dauern noch an. Er ist und war bedingungslos da, hat mich ermutigt, ihn anzurufen, bevor ich mich verletzte. Denn in aller Regel wurde es erst so richtig schwierig, wenn ich alleine war. Er hört zu, ermutigt mich zu reden, scheut sich nicht vor meinen Verletzungen. Das hilft mir so sehr.

Meine Angehörigen waren meist völlig überfordert. Es ist extremst schwer zuzusehen und nicht in der Lage sein können zu helfen. Neben der Hilfe von Psychotherapie und Medikamenten, auf die ich noch eingehen werde, ist es aber auch das Umfeld, das trotzdem irgendwie damit umgehen muss und im besten Fall helfend zur Seite stehen sollte.

Ich glaube, das Wichtigste ist, hinzuschauen, nicht vorwurfsvoll oder verärgert oder mitleidig, sondern mit Mitgefühl und Liebe. Es ist unendlich schwer, hier die Balance zwischen zu viel und zu wenig zu finden. Oft weiß man selbst nicht, was man braucht. Allzu verständlich ist es, dass andere es nicht wissen können. Oft hilft es einfach nur zuzuhören. Bei mir hat das zwar an der Sache selbst nichts geändert, aber die Zeit überbrückt, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte.

Im Laufe der vielen Jahre in Therapie habe ich mir oft die Frage gestellt, warum ich mir selbst Schmerz zufüge. Es gibt dafür bestimmt keine allgemein gültige Antwort. Was ist der unmittelbare Anlass? Was der eigentliche Grund, der viel tiefer liegt. Ganz einfach gesprochen, ist es ein Hilferuf der Seele. Wenn man um Hilfe ruft, dann will man, dass es jemand hört. Nicht anders ist es bei Selbstverletzungen. In aller Regel war ich mir dessen aber nicht bewusst. Niemand verletzt sich bloß aus Spaß, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Das ist eine weit verbreitete Ansicht, aber ein gefährlicher Irrglaube. Ich habe meine Verletzungen fast nie versteckt. Das bedeutet aber nicht, dass ich darauf angesprochen werden wollte. Sie gar herzeigen wollte. Eher das Gegenteil war der Fall, meistens wollte ich genau das nicht. Wie ich schon geschrieben habe, war es bei mir auch, gerade in den ersten Jahren, für nicht Eingeweihte nicht klar erkennbar, woher meine Wunden stammen. Auch viele, die mich gut kannten, kamen gar nicht auf die Idee, was wirklich dahinter steckte.

Allerdings habe ich meine Verletzungen im privaten Umfeld nicht versteckt. Anders war das natürlich in der Arbeit. Wenn mich aber jemand gefragt hat, was passiert sei, habe ich ehrlich geantwortet. Manchmal führte dies zu kuriosen Situationen. Beim Klettern hat mich eine Bekannte gefragt, ob ich mich mit einer Katze angelegt hätte. Ich war in dem Moment etwas sprachlos. Habe die Situation auch nicht gleich aufgeklärt. Später, als ich wieder daheim war, habe ich in Ruhe eine Nachricht geschrieben und erklärt, was los war. Ähnliche Situationen gab es öfter. Das fand ich zwar in dem Moment unangenehm, aber es hat mir auch gezeigt, dass die meisten damit umgehen konnten und mich nicht anders als davor behandelt haben. Eigentlich reagierten alle mit Verständnis und viele boten Hilfe an. Für mich war es leichter, mit jemandem über meine Probleme zu sprechen, der meine Geschichte nicht kannte, jemand außerhalb meiner Familie. Es gab eine gute Freundin, die stets ein offenes Ohr hatte und die ich oft um Hilfe gebeten habe. Für mich war es unsagbar wertvoll, dass ich wusste, dass ich nicht alleine bin, dass ich gemocht werde, wichtig bin. Eine schwierige Kindheit, Probleme in der Familie, Mobbing in der Schule hatten dazu geführt, dass mein Selbstvertrauen damals komplett in Trümmern lag. Meine Seele hatte viele Wunden, aber niemand sah sie, so tief sie auch waren.

Außerdem hatte ich eine gigantische Wut in mir. Eine Wut, die ich kaum beschreiben kann. So überwältigend, dass sie kaum auszuhalten ist. Ich wusste aber nicht, gegen wen sie sich richtet. Sie war einfach da, egal wohin ich ging. Ich trug sie, gleichsam wie ein Rucksack, stets mit mir herum. Wenn ich mich dann, aus irgendeinem, noch so geringfügigen Anlass, über irgendetwas oder -jemanden ärgerte, bin ich explodiert. Teils nach außen, meist aber nach innen. Ich wendete die Wut gegen mich selber. In der Therapie packe ich den Rucksack Stück für Stück aus und lerne die Wut dorthin zu leiten, wo sie eigentlich hingehört.

Manches Mal hilft auch Sport, diese Wut zumindest ein bisschen zu dämpfen. Beim Klettern kam ich in Kontakt mit einem sehr lieben Psychiater, der mich ermutigt hat, zu versuchen, ob mir Medikamente helfen würden. Dies natürlich neben der Psychotherapie, die in meine Augen das Wichtigste ist. Ich war zu Beginn bei einer Psychoanalytikerin in Behandlung. Ich kann diese Richtung nicht empfehlen. Nur selber reden, selbst bei akuten Suizidgedanken alleine gelassen zu werden. Für mich war und ist das nichts. Ich war einige Jahre bei ihr in Therapie. Eigentlich half sie nicht, es viel mir aber schwer dies einzusehen, auch weil die Therapeutin nicht müde wurde zu sagen, dass es an mir lag. Würde ich mich nicht so dagegen wehren, würde es helfen.

Wie falsch diese Aussagen waren, habe ich erst bei meiner jetzigen Therapeutin gemerkt. In der ersten Stunde sagte sie mir, sie wollte nur ein Versprechen von mir, dass ich mich, wenn es mir sehr schlecht ginge, bei ihr melde. Von Anfang an habe ich mich bei ihr gut aufgehoben gefühlt und in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Trotzdem war es eine sehr aufwühlende Zeit. Mein jüngster Onkel war plötzlich verstorben, ich musste mich an eine neue Therapie und an Medikamente gewöhnen. Die Medikamente halfen, hatten aber auch Nebenwirkungen. Ich habe stark zugenommen, auch wenn ich vorher fast untergewichtig war. Das war und ist nicht einfach für mich, gerade mein Körper war in Schulzeiten ein Mobbinggrund. Außerdem intensivierten sich meine Verletzungen. Medikamente führen zwar dazu, dass die grundsätzliche Anspannung kleiner wird, man sie weniger spürt. Allerdings, wenn ich mich trotzdem verletzte, war es schlimmer als sonst. Ich brauchte „mehr“ als vor den Medikamenten, damit ich mich spüren konnte. Das war vor etwa vier Jahren. Das erste Mal musste ich ins Krankenhaus, um meine Wunden ärztlich versorgen zu lassen. Das war ein sehr merkwürdiges Gefühl, ist mir davor Gott sei Dank erst zweimal in meinem Leben passiert. Einmal als kleines Kind und vor ein paar Jahren wegen einer Gehirnerschütterung nach einem Fahrradsturz. Und nun hatte ich mich selbst dorthin gebracht. Das Personal war freundlich und verständnisvoll. Das ist nicht immer der Fall gewesen, aber richtig ungut waren Ärzte und Krankenschwestern nie. Es ist vorgekommen, dass mich das Krankenhaus an eine Psychiatrie überwiesen hat. Dort allerdings bin ich, mit dem Hinweis, dass ich ohnehin psychiatrisch versorgt und in Therapie war, unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt worden.

Das ist eines der Missstände, die ich im österreichischen Gesundheitssystem kritisiere. Es wird blakatiert, dass seelische Krankheiten mit körperlichen gleichzusetzten sind. In der Praxis muss man aber die Kosten der Psychotherapie selber tragen, ebenso einen guten Psychiater. Es gibt zwar Therapeuten der Kassa, allerdings sind diese sehr rar und die Wartezeiten entsprechend lange. In Wien stehen einem Kassenpsychiater lediglich zehn Minuten für einen Patienten zur Verfügung, höchstens. Wenn man bedenkt, dass man diesen etwa einmal im Moment aufsucht, ist das, höflich gesagt, ein schlechter Witz. Anders ist es etwa im Bundesland Salzburg, hier stehen einem dreißig Minuten zur Verfügung. Ich könnte, hätte ich nicht meine Familie, die mir mit Rat und Tat, auch aus finanzieller Sicht, zur Seite steht, diese Kosten unmöglich tragen.

Neben meiner Familie, die mich nie im Stich gelassen hat, ist mir mein Verlobter eine riesige Stützte. Wir sind in einer sehr stürmischen Zeit zusammengekommen. Meine Trennung aus einer jahrelangen, aber unglücklichen Beziehung war noch nicht allzu lange her. Wir haben sehr viel gemeinsam durchgestanden und einander Halt gegeben. Er war und ist mein Anker. Wir teilen unser Leben, reden über alles. Er hat mich immer wieder ermutigt, mich selbst zu lieben, mir auf alle möglichen Arten und Weisen gezeigt, dass ich wertvoll bin und liebt mich genau so, wie ich bin. Wie er sagt, ist es sein größter Wunsch, dass ich mich so sehe, wie andere mich sehen. Diese Liebe hat so viele Wunden geheilt und ist ein unendlich kostbares Geschenk und ich bin aus tiefstem Herzen dankbar dafür. Diese Liebe und die Therapie sind für mich der Schlüssel zur Heilung. Der Weg ist lang und steinig. Aber es ist wert ihn zu gehen. Und irgendwann, da bin ich mir sicher, werde ich auch mein Ziel erreichen.

Schmerzen meiner Seele

Das schlimmste Gefühl, das ich kenne, ist wohl die Wut auf mich selbst. Das unbändige Verlangen, mir selbst zu schaden, mich selbst zu bestrafen. Dafür, dass ich nicht bin, wer ich gerne wäre. Das sind Tage, an denen der hellste Himmel dunkel ist, die größte Freude Trauer ist. Die innere Leere zu dem Meer wird, das alles überschwemmt.

Ich wurde in meinem Leben viel zu oft enttäuscht. Habe Menschen vertraut, die mich fallen ließen. Habe auf Veränderung gehofft und wurde enttäuscht. Habe so viele Rückschläge erlitten, dass ich bis heute nicht an positiven Dingen festhalten kann. Es ist leichter nicht zu hoffen, dann wird man nicht enttäuscht. Das ist wohl der Schutzmechanismus, den ich mir aufgebaut habe. Mein Kopf weiß, dass das nicht richtig sein kann, aber mein Herz hat zu viel Angst, das zu ändern.

Ich habe in der prägenden Zeit als Kind niemanden gehabt, der mich gehalten hätte. Der mich aus der Hölle geholt hätte, zu der die Schule für mich geworden war. Ich war gezwungen meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich ins Gymnasium kam. Mein Papa verfiel dem Alkohol mehr und mehr, meine Mama war mit drei Kindern überfordert. In dieser stürmischen Zeit begann meine Pubertät. Ich konnte mich nicht ausleben, wie andere Kinder. Meine Wut wurde nicht toleriert. Mein Temperament unter Kontrolle gehalten. Mein Bruder lebte seine Pubertät in vollen Zügen aus, ich habe zurückgesteckt. Meine Geschwister sind ohnehin ganz anders als ich. Ich habe viel vom Charakter meines Vaters geerbt. Ich war und bin ein kleines Temperamentbündel. Ich kann ziemlich heftig explodieren, mich aber genauso heftig freuen. Aus Rücksicht auf meine Mama habe ich das als Jugendliche aber nie gelernt auszuleben und so damit umzugehen.

Stattdessen habe ich so viel geschluckt, dass irgendwann der Speicher voll war und doch hörten die Probleme nicht auf. Wenn irgendwann zu viel Wasser in einem Waschbecken ist, geht es über. Mein Herz wurde im Laufe der Jahre zu einem Speicherort für so viele Tränen, dass das größte Meer der Welt diese hätte nicht mehr halten können. Doch einen Stöpsel, den ich hätte ziehen können, gab es nicht. Und so wurde der Druck immer größer.

Wie ein Staudamm, der irgendwann bricht, bin auch ich gebrochen. Ich habe verlernt, glücklich zu sein. Ich habe verlernt, mich selbst zu lieben. Ich habe nie gelernt, meine Gefühle zuzulassen. Aber sie waren da. Ich wusste keinen Ausweg mir. Oft wollte ich weinen, doch ich konnte nicht. Ich hatte mir irgendwann nicht mehr erlaubt traurig zu sein. Ich hatte Angst vor all den Gefühlen, die in mir schlummern und mich dann zu überwältigen drohten. Der Schmerz aber war da und er wollte empfunden werden. Der Körper spiegelt die Seele und so spiegelt mein Körper auch meine.

Meine Narben zeugen davon. Von einem Kampf, den ich nicht mehr gewinnen konnte. Noch immer versuche ich mich selbst in Einklang zu bringen und meine eigene Mitte zu finden. Wie ein Puzzle, dessen Teile noch nicht ganz zusammenpassen.

Depression?!

Depression, ein Begriff der sehr oft fällt. Nur, was ich das eigentlich? Wie fühlt es sich an?

Für mich ist das Wort Depression sehr schwer fassbar. Am ehesten finde ich kann man es mit den Worten innere Leere beschreiben. Die Abwesenheit von Freude, egal was ich mache. Ob ich Alltagsdinge erledige oder meinen Lieblingsbeschäftigungen nachgehe. Das ist für mich immer das Schlimmste. Etwas machen, was mir normalerweise große Freude bereitet und einfach gar nichts dabei zu fühlen.

Im Leben gibt es leider meist etwas, das einem Sorgen bereitet. Ich neige in depressiven Phasen dazu, mich nur darauf zu fokussieren. Alles positive wird ausgeblendet. Das passiert nicht bewusst und ist nur sehr sehr schwer steuerbar.

Das typische Bild, das depressive Menschen den ganzen Tag im Bett liegen und nicht aufstehen können, kannte ich nie. Ich habe stets versucht mich abzulenken. Selbst in den schlimmsten Phasen bin ich arbeiten gegangen.

Seit langem nehme ich auch schon Medikamente gegen meine Depressionen. In der ersten Zeit der Einnahme ging es mir sehr schlecht. Ich war akut suizidgefährdet, nur mit der Hilfe meiner Familie habe ich es geschafft diese Zeit zu überstehen. Leider ist das keine Seltenheit. Oft kommt es anfangs zu einer Verschlimmerung. Ich musste fast lachen, als ich im Beipackzettel gelesen habe, dass das Medikament zu Suizidgedanken führen kann. Ein Antidepressivum kann das bewirken, gegen das es wirken soll. Irgendwie absurd.

Für mich sind und waren meine Depressionen (nur) ein Teil meiner psychischen Probleme. Es ist daher schwer für mich zu beurteilen, wo die Grenzen sind. In einfachen Worten kann man sie am ehesten umschreiben als der Verlust der Lust am Leben, weil Freude und Glück nicht mehr fassbar sind.

Ausgelacht, verspottet, zerstört

DER PANTHER

IM JARDIN DES PLANTES, PARIS

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke

Ich bin eigentlich kein Fan von Gedichten. Dieses hat jedoch in mir etwas tief berührt. Vielleicht weil ich mich damals genauso gefühlt habe. Eingesperrt in einer Welt, in der ich nicht sein wollte. Verspottet, ausgelacht und ausgegrenzt von meinen Mitschülern. Und das Schlimme ist, niemand ist eingeschritten, niemand hat mir geholfen. Mobbing hinterlässt Wunden, schlimme Wunden. Wenn sie einmal da sind, so heilen sie nur sehr schwer.

Schon am ersten Tag im Gymnasium ging es los. Ich hatte das Pech als Kind und Jugendliche Akne zu haben. Ich war nicht extrem dünn und trug keine Markenklamotten. Sprich ich entsprach nicht dem gesellschaftlichen Ideal. Was folgte waren die schlimmsten Jahre meines Lebens. Meine Familie brach damals auseinander, meine Eltern lebten getrennt, ich wuchs bei meiner Mama auf, meinen Papa habe ich kaum gesehen. Es ging ihm seelisch schon seit Jahren sehr schlecht.

Mir war beim Aufstehen in der Früh teils so übel, dass ich mich übergeben musste. Einmal sogar in der Schule. Man hört so oft, die Schulzeit ist die schönste Zeit. Ich wusste damals schon, dass das für mich definitiv nicht zutrifft. Auch heute macht mich dieser Spruch noch wütend. Ich möchte hier nicht im Einzelnen darüber reden, was ich mir anhören müsste. Neben den täglichen Beleidigungen war es aber vor allem die Tatsache, dass ich durch das Mobbing an den Rand der Klassen gedrängt wurde. Ich habe es gehasst im Turnunterricht immer als Letze gewählt zu werden. Ich verstehe bis heute nicht, warum das so gemacht wird. Es fühlte sich für mich jedes Mal so an, als wäre ich vor den Pranger gestellt worden.

Was mich nach wie vor sehr wütend macht, ist, dass die Lehrer mitbekommen haben, was los ist. Sie wussten es ganz genau und schauten weg. Ich verstehe das nicht und erachte es als eine unverzeihliche Verletzung ihrer Pflichten. Meine Mutter hat öfter am Elternabend auf die Situation aufmerksam gemacht. Aus irgendeinem Grund bestand ein derartiger Schutzmantel um dieses Kind, das mich gequält hat. Um dem einen drauf zu setzen, wurde ihm Therapie ermöglicht, mir aber nicht. Sogar die Lehrer hatten Angst vor dem Wahnsinnigen.

Meine Englischlehrerin hat damals eine Übung gemacht, in der es darum ging, dass einige der Klasse diese verlassen sollten und sich einen Vorschlag für einen Schulausflug einfallen lassen sollten. Das haben wir dann gemacht. Zu meiner Verwunderung bekam meine Idee große Zustimmung, die der anderen nicht. Später hat sie ausgeführt, dass Sinn der Sache sei, dass dem zugestimmt wird, der nicht beliebt ist und umgekehrt. Ich weiß nicht, was sie damit eigentlich bewirken wollte. Für mich war es ein heftiger Schlag in die Magengrube.

Ein anderes Mal hat mich mein Musiklehrer, weil ich angeblich den Unterricht gestört hatte, nach vorne gebeten und ich musste Töne nachsingen, die er am Klavier vorspielte. Ich treffe keinen Ton. Ihr könnt euch wohl vorstellen, welche Lachnummer es für die anderen Kinder war.

Ich kann mich auch erinnern, dass ich in Geographie geprüft wurde. Die Frage war, wo Bananen wachsen. Ich wusste es nicht und irgendein besonders lustiger hat mir dann Südpol eingesagt. Ich habe es ohne nachzudenken wiederholt und eine Lachnummer war geboren. Von Anfang an wurde ich als dumm bezeichnet und sie fanden es deshalb wohl umso witziger.

Ich hätte mich am Liebsten in Luft aufgelöst in der Klasse. Wäre gerne einfach verschwunden. Besonders schlimm waren Referate. Ich habe es so sehr gehasst und wurde regelmäßig ausgelacht. Auch der Schulanfang war immer ungut. Ich wusste nie, neben wem ich sitzen sollte. Wenn ich allein saß, was viele Jahre vorkam, fühlte ich mich erst recht ausgeschlossen, alleine und stigmatisiert.

Auch bei Schularbeiten blieb ich von den Hänselein nicht verschont, wurde mit Papierkügelchen abgeschossen. All diese Situationen sind nicht im stillen Kämmerchen passiert. Die Lehrer sahen und wussten es und sind nicht eingeschritten. Haben einfach nur zugeschaut. Offensichtlich hätte ich durchdrehen müssen, damit jemand hingesehen hätte. Doch das bin ich nicht. Ich verurteile Taten von Amokläufern zutiefst, ich verstehe aber, dass man irgendwann nicht mehr kann. Meiner inneren Stärke ist es zu verdanken, dass ich damals nicht total zusammenbrach.

Als ich in der 4. Klasse war, bekam das Ganze noch eine andere Dimension. Ich wurde sexuell belästigt. Angegriffen ohne, dass ich es wollte. Meine Weiblichkeit wurde ins Lächerliche gezogen. Ich wurde spaßeshalber angemacht.

Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich habe aufgehört zu Essen. Habe innerhalb kürzester Zeit sehr viel Gewicht verloren. Erst jetzt redeten mich Lehrer an, aber ich wollte keine Hilfe mehr. Es war zu spät. Viel zu spät. Dass ich in dieser Zeit nicht in die Magersucht abgerutscht bin, gleicht einem Wunder und verdanke ich einzig und alleine meinem eigenen Kämpfergeist.

Mobbing hinterlässt die schlimmsten Wunden, die ich erlebt habe und ich trage viele seelische Wunden. Lehrer müssen einschreiten. Dürfen nicht wegsehen. Auch an alle Eltern. Bitte beobachtet eure Kinder. Nehmt sie, wenn es sein muss, aus den Klassen. Habt stets ein offenes Ohr. Ich habe kaum mit meiner Mama geredet. Sie war ohnehin damit beschäftigt uns drei Kinder über die Runden zu bekommen. Mein Papa wusste nichts von dem Ganzen. Ich habe ihn dafür viel zu selten gesehen. Außerdem wollte ich daheim nicht darüber reden. Mir einen Freiraum schaffen, wo ich mich nicht mit der schrecklichen Situation in der Schule befassen wollte.

Wer glaubt, dass man das schon aushält und spätestens nach der Schule sei es vorbei, dem sei gesagt, dass das absolut nicht stimmt. Ich leide bis heute daran. Es braucht Jahre lange Therapie, viel Mut, viel Zeit und Kraft. Ich hätte vor einem Jahr fast aufgegeben. Mein Selbstvertrauen war so zerstört worden. Ich konnte bis vor Kurzem die Fotos meiner Jugend nicht ansehen. Irgendwann glaubt man den Mist selber, den man jeden Tag hört. Mein Selbstvertrauen war am Boden, Selbstliebe mir fremd. Erst mein Verlobter hat mit Geduld, Einfühlungsvermögen und endloser Liebe mir gezeigt, dass ich wertvoll bin, mich nicht selbst hassen muss, sondern mich lieben sollte. Nach einem Jahr gelingt es mir, zu denken und sagen, dass ich mich selber lieb habe. Aber gerade im belastenden seelischen Situationen brechen noch immer negative Gedanken auf mich herein und ich muss alle meine Kräfte aufbringen, um mich aus der Situation zu befreien. Und manchmal helfen nur zusätzliche Medikamente.

Was ich euch eindringlich sagen möchte. Schaut hin, wenn jemand verletzt wird, gerade seelisch. Schreitet ein, lasst nicht die Ungerechtigkeit siegen. Einen gebrochenen Knochen, kann man innerhalb kurzer Zeit heilen, im äußersten Fall durch eine OP. In einigen Wochen ist die Sache ausgestanden und vergessen. Eine gebrochene Seele aber braucht ein ganzes Leben, im besten Fall bleiben am Ende nur Narben.

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